Cloppenburg - Nein zur Bekenntnisschule

Michael Jägers Rede im Rat am 22.2.2021 zur Ablehnung einer christlich-evangelikalen Bekenntnisschule 

23.02.21 –

 

Anrede,
wir beschließen heute über eine Vorlage, mit der der BM empfiehlt, ein Bauleitverfahren einzuleiten, um die Errichtung einer fundamentalistisch-evangelikalen Bekenntnisschule in CLP zu ermöglichen. Die CDU/FDP/Zentrum-Gruppe hatte diesem Vorhaben sowohl im Planungsausschuss als auch im VA zugestimmt.

Wir haben diesen Vorstoß ganz entschieden abgelehnt und werden das auch heute tun. Auch wenn im konservativen Lager die Haltung aufgrund massiver interner und öffentlicher Proteste wankt, so stellen wir doch fest, dass sich Bürgermeister und die CDU nach wie vor nicht so klar äußern wie wir, sondern sich hinter dem Planungsrecht verstecken. Sie sagen: wir stellen ja nur einen B-Plan auf und handeln damit nur nach Recht und Gesetz. Sie sagen nicht, dass wir ebenso nach Recht und Gesetz handeln, wenn wir KEINEN B-Plan aufstellen. Niemand zwingt uns, das zu tun.

Das Ganze nennt man kommunale Planungshoheit. Der Rat hat das Recht, darüber zu befinden, ob er eine bestimmte Entwicklung fördern möchte – z.B. durch eine entsprechende Bauleitplanung – oder eben nicht. Mit „handeln nach Recht und Gesetz“ hat das überhaupt nichts zu tun. Die CDU und BM streuen den Bürger*innen Sand in die Augen wenn sie so tun, als hätten sie keine andere Wahl.

Wochenlang haben Sie uns erzählt, über die Genehmigung einer Schule entscheide ausschließlich die Landesschulbehörde. Stimmt, wissen wir. Sie verschweigen aber, dass die Behörde tatsächlich
nur dann genehmigen kann, wenn ein geeigneter Standort nachgewiesen wird. Dieses Genehmigungshemmnis soll mit dieser Beschlussvorlage abgeräumt und damit die Einrichtung einer evangelikalen Bekenntnisschule pro-aktiv unterstützt werden - eine schwerwiegende Entscheidung, die nicht nur die Schullandschaft auf Jahrzehnte prägen würde.

Und die deshalb eigentlich (!) zunächst einmal eine umfassende Debatte im zuständigen Schulausschuss erfordert hätte. Dass das bislang nicht passiert ist, nährt den Verdacht, dass hier ruck-zuck und mit der Brechstange vollendete Tatsachen geschaffen werden sollten – in wessen Interesse auch immer. Inzwischen haben aber ja wohl einige in Ihren Reihen gemerkt, dass dieses wahltaktische Manöver nach hinten losgegangen ist.

Reden wir also über die Sache. Was ist geplant?

Den Antragstellern zufolge gibt es in fünf (!) Gemeinden in der Region eine große Nachfrage nach einer evangelikal geprägten Bekenntnisschule. Eng verbunden sei ihre Initiative mit der örtlichen
pfingstkichlich geprägten Freien Evangeliums Christengemeinde, die der gleichnamigen Bruderschaft angehört und rund 2.200 Mitglieder zählt. Diese seien überwiegend Aussiedler aus der früheren Sowjetunion und hätten ethisch-moralische Vorstellungen aus ihren Heimatländern mitgebracht, die erhalten und weiterentwickelt werden sollen.

Und weiter heißt es, es gäbe in der Region „bislang keine christliche Schule, die dem Bedarf vieler bibeltreuer Christen entspricht.“ Schulgründungen seien ein Auftrag Gottes, und nur „solange sie auf ihn ausgerichtet sind, haben sie eine Daseinsberechtigung.“

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Ich mache an dieser Stelle immer gerne eine kleine Pause, damit man tief durchatmen kann. Was offenbart sich da für ein Weltbild, wenn Schulen in einer toleranten, weltoffenen Gesellschaft auf der Grundlage des Niedersächsischen Schulgesetzes die Existenzberechtigung abgesprochen wird, wenn sie nicht „auf Gott ausgerichtet“ sind! Und was heißt „auf Gott ausgerichtet“? Vermitteln unsere bestehenden Schulen etwa keine christlichen Werte?

Was führen diejenigen, die offenbar ganz andere Schulen wollen, da eigentlich im Schilde? Wir Grüne treten ein für eine Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Konfession oder sexueller Orientierung in gegenseitiger Achtung und Respekt leben. Religiöse und weltanschauliche Überzeugungen haben in Familien und Andachtsstätten (Kirchen, Gebetshäusern, Synagogen, Moscheen u.a.) ihren unbestrittenen Raum. Schulen hingegen erfüllen einen staatlichen Bildungsauftrag, der nicht primär auf religiöse Erziehung zielt. Alle Grundschulen der Stadt vertreten daher – auch wenn sie eine konfessionelle Ausrichtung haben – offene, liberale Konzepte und befinden sich in Trägerschaft der Stadt. Wir wollen, dass das so bleibt.

In unserer freiheitlich verfassten Gesellschaft hat jeder Mensch das Recht, zu glauben, was er mag: Dass es einen Gott gibt oder auch nicht, dass die Welt an 7 Tagen erschaffen wurde, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist oder eine Scheibe – darf man alles glauben. Schule aber hat nicht Glauben zu vermitteln, sondern Wissen. Schule hat den Auftrag, Fähigkeiten und Kenntnisse für das Leben in einer hochkomplexen Bildungs- und Industriegesellschaft zu lehren. Dazu gehören selbstverständlich auch theologische Fragen, und dafür gibt es das Fach Religion. Oder, besser noch, Werte und Normen.

Wer allerdings sagt, und jetzt zitiere ich wieder die Antragsteller, dass “Bildung und Glauben nicht getrennt behandelt werden können“, wer sein Erziehungsziel in der „Hinführung zu Gott“ sieht und
das Schulleben vollständig an „biblischen Grundsätzen“ ausrichtet, der hat andere Ziele. Ich nenne das Indoktrination. Wird zwar bestritten, steht aber ganz klar im Konzept (Zitat): „Der Umgestaltungsprozess ins Bild Gottes ist oberstes Ziel der Pädagogik.“

Hier muss ich eigentlich schon wieder eine Pause machen, um tief durchzuatmen. Ratskollege Marco Beeken hat vor seiner 180-Grad Kehrtwende stets gesagt: „Gleiches Recht für
alle“ und behauptet, es handele es sich um eine ganz normale freie Bekenntnisschule, von denen es in Deutschland mehr aus 100 weitere gibt. Lieber Marco, das stimmt so nicht. Diese über 100 Schulen - in Niedersachsen z.B die Christliche Schule Gifhorn, die Freie Christliche Bildungseinrichtung Braunschweig oder die Freie Christliche Schule Ostfriesland in Moormerland (eine Gesamtschule mit 1300 Schüler*innen) unterscheiden sich von der hier geplanten z.B dadurch, dass sie 1. völlig andere Konzepte haben und 2. diese nicht vor der Öffentlichkeit verstecken, sondern stolz auf ihren Hompages präsentieren. Zu Recht. Denn diese Schulen kommen – trotz ihrer konfessionellen Ausrichtung – mit liberalen Konzepten den öffentlichen gleich.

Nicht so die Cloppenburg Initiative. Ich finde es alarmierend, wenn ausnahmslos alle (!) Grundschulleiter*innen der Stadt die geplante Schule ablehnen und darauf hinweisen, dass diese (Zitat) „unseren Bestrebungen entgegenwirkt, eine für unsere Kinder zukunftsfähige Gesellschaft aufzubauen, in der Diversität als Norm angesehen wird“.

Ich finde, man muss Lehrer*innen und Schulleitungen ernst nehmen, die tagtäglich mit den Problemen konfrontiert sind und wissen, wovon sie reden. Wir haben doch alle den leidenschaftlichen Appell von Herrn Müller, Leiter der Grundschule Molbergen, gelesen. An seiner Schule mit 438 Schüler*innen gehören 60% der Freien Evangeliums Christengemeinde an. Er weiß, wovon er redet, wenn er von Versuchen berichtet, „vehement in die Lehrpläne und Unterrichtsinhalte einzugreifen“, wenn er schildert, dass feste Bestandteile der Kerncurricula abgelehnt werden – und zwar nicht nur in der Sexualerziehung, sondern selbst bei harmlosen Märchen und Theateraufführungen. Herr Müller schildert, dass wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet werden, Verfechter der Evolutionstheorie als „dumm und ungläubig“ bezeichnet werden, und er spricht von einer fundamentalistischen Weltanschauung, die im Widerspruch steht zur Toleranz anderer Ansichten, die an allgemeinbildenden Schulen gelehrt wird.

Lügt der Mann? Nein, tut er nicht. Er spricht dankenswerter Weise das aus, was viele wissen, aber lieber klammheimlich unter den Teppich kehren wollen.

Wohlgemerkt: Diese Verhaltensauffälligkeiten gelten nicht für alle bibeltreu Gläubigen und schon gar nicht für alle Aussiedler (Herr Müller ist übrigens selbst Aussiedler). Aber sie gelten für die religiösen Hardliner und Sektierer. Und genau die sind es, die hier eine eigene Schule errichten wollen. Damit sie unter sich bleiben – geschützt vor den Wertvorstellungen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft.

Ich habe als Kind noch erlebt, dass es anderen Kindern verboten war, mit mir zu spielen – weil sie aus einem katholischen Elternhaus kamen, und ich aus einem evangelischen. Wir Kinder wurden in den Schulen streng nach Konfessionen sortiert. Gottlob haben wir diesen Blödsinn heute weitgehend überwunden, in unseren Schulen sehen wir heute eine bunte Durchmischung. Und das ist gut so. Wir wollen kein Rollback ins vergangene Jahrhundert.

Integration zugewanderter Menschen gelingt nicht dadurch, dass diese in einer eigenen, abgeschotteten Welt leben. Mit unserer Quotenregelungen bei der Bauplatzvergabe haben wir bislang versucht, eine Ghettobildung zu verhindern. Es wäre ein verheerender Fehler, jetzt einer gesellschaftlichen Spaltung durch unsere aktive Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Schulwesens Vorschub zu leisten.

Aktuell geht es nur um eine einzügige Grundschule für die Klassen 1 bis 4 mit der Erweiterungsmöglichkeit auf eine Zweizügigkeit. Aber dabei wird es nicht bleiben. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass die Bibeltreuen ihre Schutzbefohlenen nach 4 Jahren Grundschulzeit einfach so in die feindliche Landschaft weiterbildender Schulen entlassen? Wir würden uns schon sehr bald mit Bestrebungen zur Errichtung fundamental-evangelikaler Bekenntnisschulen im Sekundarbereich I und II befassen müssen.

Wir sollten nicht dabei helfen, diese Tür aufzustoßen. Wir würden damit allen in den Rücken fallen, die sich seit Jahren für Integration eingesetzt und gearbeitet haben. Integrieren statt separieren – das wäre ein zukunftsfähiger Weg.

Michael Jäger

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