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Grüne stimmen erstmalig einem Haushalt zu

27.02.12 – von Michael Jäger –

Das gab es in den über 30 Jahren, in denen es eine Grünen-Fraktion im Cloppenburger Stadtrat gibt, noch nie: Die ehemals allein regierende CDU leht den Haushalt ab, wir Grüne stimmen gemeinsam mit SPD und UWG zu - und übernehmen somit die Verantwortung für den Haushalt 2012. Hier die Rede des Fraktionsvorsitzenden Michael Jäger im Wortlaut:

Anrede,
mit den Kommunalwahlen des letzten Jahres hat sich in der Stadt das politische Klima in der Stadt verändert. Und zwar zum Positiven. Das rücksichtslose "Durchregieren" einer alleine bestimmenden Partei ist dem demokratischen Diskurs gewichen, Vorschläge und Anträge der ehemaligen Minderheitsfraktionen finden plötzlich Mehrheiten. Es ist, als hätte jemand die Fenster geöffnet und frische Luft durchströmt den politischen Raum. Wir waren es gewohnt, dass jeder unserer noch so kleinen Anträge abgelehnt wurde - aus Prinzip, weil die CDU es nicht ertragen konnte, dass auch andere mal gute Ideen hatten. Diesem unwürdigen Schauspiel haben die Wählerinnen und Wähler ein Ende bereitet - und dafür bedanken wir uns. Es gibt heute eine veränderte politische Kultur in Cloppenburg.

Und das schlägt sich auch in diesem Haushalt nieder. Plötzlich ist die Ehrenamtskarte, die die SPD schon in der letzten Periode erfolglos beantragt hatte, kein Streitpunkt mehr. Auch der Antrag, den Kindergärten den kostenlosen Besuch im Freizeitbad zu gewähren, findet eine Mehrheit. Die UWG erfährt einhellige Zustimmung für qualifizierte Drittkräfte in allen Krippengruppen und wir Grünen bekommen Zustimmung für unseren Antrag, die Nachmittagsbetreuung der Ganztagsgrundschulen mit einem Euro pro Kind und Tag aus der städtischen Kasse zu bezuschussen.

Und dass jetzt auch das große und für die künftige Entwicklung der Stadt so wichtige Projekt "Kulturbahnhof" realisiert werden kann und im Haushalt steht, führt dazu, dass wir als Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen erstmalig seit unserem Einzug in den Rat vor 30 Jahren einem Haushalt zustimmen werden.

Das heißt natürlich nicht, dass alles, was im Haushalt seinen Niederschlag findet, von uns gutgeheißen und mitgetragen wird. Denn nach wie vor enthält dieser HH Vorhaben, die wir kritisch sehen oder mehr noch: strikt ablehnen. Ich will einige benennen:

Der Ecopark wird in diesem Jahr mit rund 600.000 Euro bezuschusst. Das sind 80.000,- mehr als im Vorjahr. Im nächsten Jahr sollen es gem. Plan gar 650.000,- sein und in den Folgejahren jeweils 750.000,- Ein Fass ohne Boden! Wenn ich richtig addiert habe, werden wir bis zum Jahresende 4.8 Mio. Euro in dieses interkommunale Millionengrab gepumpt haben - um gerade einmal 16 Firmen anzusiedeln, von denen lediglich 5 oder 6 zur Gewerbesteuer veranlagt werden, und die teilweise nur aus anderen Gemeinden umgezogen sind. Um nicht missverstanden zu werden: Wir fordern nicht den Ausstieg aus dem gemeinsamen Gewerbegebiet. Interkommunale Zusammenarbeit ist sinnvoll und notwendig. Aber hier stehen Aufwand und Ertrag in einem unausgewogenen Verhältnis. Wir möchten eine deutliche Reduzierung der Verbandsumlage erreichen, um die Mittel in die Förderung sinnvoller Gewerbe- und Industriestandorte in unserer Stadt umzuleiten.

Und in der Verkehrspolitik wollen wir umsteuern. Es ist ein Irrsinn, dem stetig wachsenden Straßenverkehr mit immer mehr Asphalt und Beton hinterher zu laufen. Das kann zu vertretbaren wirtschaftlichen und ökologischen Kosten nicht gelingen! Wir lehnen daher die Mitgliedschaft im Städtering Zwolle-Emsland ab, einem Lobby-Verein, der nur ein Ziel verfolgt, nämlich den vierspurigen Ausbau der B213/E 233 als Autobahn. Hier haben wir ein klassisches Beispiel dafür, was in der Verkehrspolitik falsch läuft! Statt mit einem sofortigen Durchfahrtsverbot für Transit-Lkw ab 12 t. die Mautflüchtlinge wieder auf die Autobahnen zu zwingen, die Straße dadurch umgehend und spürbar zu entlasten und der heimischen Wirtschaft und den Menschen zu helfen, sehen die Planer die Lösung ausschließlich in noch mehr Asphalt und Beton. Dabei hilft das vergebliche Hoffen auf einen Ausbau in irgendeiner fernen Zukunft aktuell niemandem und ist vergebens: Diese Autobahn wird - darauf wette ich - nie gebaut werden.

Auch müssen wir weiterhin den Bau der Südtangente ablehnen. Bislang konnte uns niemand davon überzeugen, dass diese Straße die Innenstadt tatsächlich entlastet. Solange sich eine Mehrheit im Rat sträubt, über städtischen öffentlichen Nahverkehr nachzudenken oder ein intelligentes Verkehrsleitsystem für die Innenstadt einzurichten, solange müssen wir bezweifeln, dass die angestrebte Entlastung nicht auch auf anderem Wege erreicht werden kann. Und zwar kostengünstiger und umweltschonender. Eine Erfahrung aus den letzten Jahrzehnten Straßenbau lautet: Vielfach produzieren neue Straßen erst die Verkehre, die zu vermeiden sie vorgeben. Oder knapp: wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Interessant übrigens, dass beim Demografie-Workshop am vergangenen Freitag hier im Rathaus in fast allen Arbeitsgruppen der Aufbau eines städtischen ÖPNVals wichtige Aufgabe genannt wurde. Der Ausbau der Südtangente nicht ein einziges Mal. Die Bürgerinnen und Bürger sind offenbar wieder einmal weiter als die (konservative) Politik.

Was den Stellenplan betrifft, der ja heute zusammen mit dem Haushalt beschlossen wird, so haben wir an mehreren Positionen Kritik anzumelden. Eines jedoch schon mal vorab: Wir gewinnen immer stärker den Eindruck, dass im Rathaus auf Grund von Personalmangel verschiedenen Bereichen nicht mehr zur Zufriedenheit der Bürger und Bürgerinnen wie auch der Beschäftigten selbst gearbeitet werden kann. Die Vorgänge im Jugendbereich um Jokus-Absage u. ä. sind nur EIN Hinweis. Wir erwarten vom Bürgermeister, dass er dem Verwaltungsausschuss die tatsächliche Situation ungeschmickt berichtet. Denn wir können nur einen vertretbaren Stellenplan beschließen, wenn wir umfassend informiert sind.

Im Einzelnen: Es wird niemanden überraschen, dass wir die Forderung nach einer hauptamtlichen Frauenbeauftragten nach wie vor erheben. gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist ein Kernziel grüner Politik. Davon ist die Gesellschaft allerdings noch meilenweit entfernt, auch die Stadt Cloppenburg. Wer im Dezember 2009 den alle drei Jahre fälligen Bericht unserer Gleichstellungsbeauftragten gehört hat, der weiß, wie schlecht es bei uns um Frauenförderung bestellt ist: Teilzeitarbeit ist immer noch eine Frauendomäne und wird von Männern nicht in Anspruch genommen; im Rathaus finden Frauen in Leitungspositionen schlichtweg nicht statt; Frauenförderpläne sucht man nach wie vor vergebens. Für die ehrenamtliche Beauftragte, so hieß es, sind die Aufgaben kaum zu bewältigen: Maßnahmen könnten aus Zeitmangel nicht optimal begleitet werden, Kontakte mit Vereinen und Verbänden blieben auf der Strecke und überhaupt sei der erforderliche zeitliche Einsatz nicht leistbar, da sie hauptberuflich einer anderen Arbeit nachgehe. Ein verheerendes Fazit, dass sich nur dadurch beheben ließe, dass die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten wieder hauptamtlich eingerichtet und kompetent besetzt wird. Genau das ist und bleibt unsere Forderung.

Und auch mit einer weiteren Stelle haben wir erhebliche Schwierigkeiten: Die erstmalig in den Plan eingesetzte Stelle „Streetworker“. sind wir Grünen sicherlich die letzten, die etwas gegen Streetworking einzuwenden hätten, aber hier haben wir den Eindruck, dass eine Stelle für eine ganz bestimmte Person geschaffen wird – ohne das der zuständige Fachausschuss jemals grundsätzlich mit der Sinnhaftigkeit einer solchen Stelle befasst gewesen wäre. Ob und wo Sozialarbeit geleistet werden soll, welches sozialarbeiterische Konzept dieser Arbeit zu Grunde liegen sollen, welchem Anforderungsprofil der Streetworker genügen muss – alles das sind Fragen, die originäres Aufgabenfeld des Sozialausschusses sind. Vor zwei Jahren wurde die selbe Person übrigens an anderer Stelle untergebracht. Damals wurde dem per Vorlage mitgeteilt, dass auf Anregung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zwischen Stadt und dem Heimatverein der Russlanddeutschen ein Werkvertrag geschlossen worden sei, und selbige Person das Projektes 'Küchenboxer' aufbauen solle. Wohlgemerkt: der Vertrag war geschlossen worden! Nicht mal der VA hatte also noch was zu sagen. Und erst recht nicht der Rat. Wir wollen nicht, dass sich dieser Vorgang jetzt praktisch wiederholt. Wir wollen, dass der möglichen Schaffung einer Streetworker-Stelle eine vernünftig erarbeitete Aufgabenbeschreibung und ein klares, beschlossenes Konzept zugrunde liegen.

Dritte und letzte Bemerkung zum Stellenplan: Wir sind uns nicht mehr sicher, ob die vereinbarte halbe Stelle für den Bereich Jugendarbeit tatsächlich ausreichend ist. Um hier kurzfristig zu einer Beurteilung und entsprechenden Beschlüssen zu kommen, haben wir heute mit dem erforderlichen Quorum die Einberufung einer umgehenden Sitzung des Fachausschusses beantragt. Wir werden nicht akzeptieren, dass die erfolgreiche und gute Jugendarbeit in Cloppenburg wegen personeller Unterbesetzung an die Wand gefahren wird.

In diesen und anderen Bereichen würden wir umsteuern, die Stadtpolitik anders gestalten. Das betrifft natürlich auch den für uns zentralen Bereich des Natur- und Umweltschutzes, der Energieversorgung und -erzeugung und der Siedlungsplanung. Wenn ich mich dazu heute im Einzelnen nicht äußere, dann deshalb, weil die Stadt gerade mit der Erarbeitung eines Integrierten Klimaschutzkonzeptes befasst ist, und ich deren Ergebnissen und möglichen Folgen für unser Handeln im Rat nicht vorgreifen möchte. Wir verbinden unsere Erwartungen an die Ergebnisse des Konzeptes allerdings mit der Hoffnung, dass dieser Rat in seiner neuen Zusammensetzung ökologischen Fragen und Lösungsvorschlägen offener gegenübersteht, als es in der Vergangenheit der Fall war.


Anrede,
dieser Haushalt für das laufende Jahr enthält – wie immer – eine Fülle von Einzelpositionen, die fraktionsübergreifend vom Rat in seiner Gesamtheit getragen werden und alljährlich wiederkehrend den allergrößten Teil ausmachen: Ausgaben für soziale Aufgaben, Leistungen für Schulen, Kindergärten und Krippen, Investitionen in Straßenunterhaltung und Abwasserbeseitigung, Förderung des Sports, der Jugendarbeit uvam. Ich kann und will nicht alle nennen, sondern nur einige Wenige ansprechen:

Wir begrüßen, dass wir im Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen in diesem Jahr ein Stück vorankommen: Der Kita-Neubau St.-Andreas steht ebenso im HH wie die Krippe St-Vinzens, der Umbau des KiGa St.-Bernhard. Und auch die Sanierung des KiGa St.-Augustinus ist mit 1 Mio. in das Investitionsprogramm für 2014 aufgenommen. Dennoch bleibt insbesondere im Bereich der Krippen noch einiges zu tun, und es gibt keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen.

Für den Schulbereich will ich positiv den Mensabau an der Wallschule erwähnen, der im HH-Jahr mit über 300.000 Euro zu Buche schlägt. Apropos Schulen: Uns ist aufgefallen dass die Abstimmung zwischen Schulleitungen, der Verwaltung und dem Schulausschuss oft nicht wirklich funktioniert und dringend verbessert werden muss. Wir wollen den Schulen künftig mehr Mitentscheidung bei der Ausstattung ihrer Schulen einräumen. Das allerdings wird Thema im Schulausschuss werden müssen.

Natürlich finden auch die erheblichen Investitionen in die Kläranlage, die in diesem Jahr mit 800.000 Euro und in den kommenden Jahren mit insgesamt 13 Mio. Jahren im HH stehen, unsere Unterstützung und Zustimmung. Das gilt auch für die erheblichen Investitionen in die Sanierung des Kanalnetzes oder die Erneuerung der Fußgängerzone und viele andere Einzelmaßnahmen.

Nennen möchte ich allerdings abschließend einen eher kleinen Betrag, von dem wir uns allerdings eine erhebliche Wirkung versprechen: Die 10.000 Euro, mit denen wir jetzt an der ENW (Energienetze Nordwest GmbH) beteiligt sind, und die die Übernahme der Strom- und Gasnetze anstrebt. Wir hoffen sehr, dass die Verhandlungen mit potentiellen strategischen Partnern und möglichen Betriebsführern erfolgreich zum Abschluss gebracht werden können und uns in der Zukunft sowohl größere Gestaltungsmöglichkeiten bei der Energieversorgung im Stadtgebiet als auch zusätzliche Mittel für unseren Haushalt bringen.

Anrede,
die Gesamtbewertung des HH ist immer ein Balanceakt: begrüßenswerte Vorhaben stehen gegen solche, die man auf gar keinen Fall unterstützen will.

In der Vergangenheit war die Sache leicht: weil alle unsere Anliegen immer von der CDU abgelehnt wurden, hatten wir keinen Grund, den HH der Mehrheit zu stützen. In diesem Jahr ist es anders. Ich habe zum veränderten Klima eingangs bereits etwas gesagt. Die Zustimmung einer Mehrheit für ein uns wichtiges Anliegen – den Kulturbahnhof – ermöglicht uns nun sogar die Zustimmung – bei aller Kritik an anderer Stelle.

Insofern schaffen wir heute ein Novum: Den ersten Haushalt der gemeinsamen Verantwortung.

Michael Jäger
27. 2. 2012

Kategorie

Cloppenburg

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